«Für meine Kunst opfere ich viel»

30.12.2020 von Ondine Riesen

Kaspar Flück, (31) Basel, Künstler
 

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Indische Hochzeit
Anfangs 20 war das Wichtigste für mich: möglichst viel ausprobieren, entdecken, reisen, Risiken eingehen und verstehen wie die Welt funktioniert. Einen Fokus oder streben nach Erfolg, schienen gänzlich unwichtig.

2014 war ich in einer Redaktion als Grafiker beschäftigt. Meine Freundin hatte soeben ihre Ausbildung in den USA abgeschlossen und ist zurück in ihre Heimat nach Indien gezogen. Nach drei Jahren Fernbeziehung und mit dem Drang Neues zu erleben, fühlte es sich nach einem nächsten Schritt an. Ich entschied zu ihr nach Indien zu ziehen und sie zu heiraten. 100% davon überzeugt war ich nicht – meine Impulsivität und Neugier aber siegten. Als ich da war, merkte ich schnell: weder die Beziehung, noch Indien oder Heiraten waren das Richtige für mich. Aber wie sag ich’s ihr und ihrer indischen Familie?

Sinnbild für die Hochzeit. Fotocollage von Kaspar Flück.

Es war eine schwierige Zeit. Wir hatten ein gemeinsames Kunstprojekt in Goa, aber es fühlte sich definitiv nach dem falschen Film an. Innerhalb der Ungewissheit, nahm ich einen zusätzlichen Schritt Richtung «kein Plan» und buchte mir einen Flug nach Portland, Oregon. Jetzt muss ich lachen, ich bin quasi geflüchtet. (Wir sind trotzdem Freunde geblieben)

Reisen
In Oregon besuchte ich in einen Retreat, was super war. Als ob der Hebel umgelegt wurde und ich jetzt im Film sass, den ich tatsächlich sehen wollte. Leute kennenlernen, ungebunden sein, herumreisen: das gefiel mir. Also entschied ich, weitere Orte zu besuchen. Ich bin kurz zurück in die Schweiz, habe meine Sachen gepackt und bin weiter nach Island und von da, nach Brasilien, Argentinien, Chile, Bolivien und Peru. So viele schöne Erlebnisse, solch eine intensive Zeit. Aber ja, mein Carbon Footprint seh ich im Nachhinein als einen weiteren Nagel im Sarg.

Kaspar geniesst die Freiheit und das Abenteuer seiner Reise. 

Nach genau einem Jahr kehrte ich zurück. Völlig pleite, ohne Plan und ohne Wohnung. Die WG-Couch eines Freundes diente als Absteige. Zwar wurde bald ein Zimmer frei, Geld hatte ich trotzdem keines. Ich bin raus und habe in jedem Geschäft nach Arbeit gefragt. Bei einem Seifenshop an der Bahnhofstrasse haben sie mich genommen. So habe ich den Leuten eben erzählt, sie sollen Seifen kaufen. Acht Monate lang. Bis ich dachte «hey nei, was soll das eigentlich?!» Danach jobbte ich im Kino Riff Raff – danach als Velokrurier.

Ein spezielles Erlebnis
Ich wohnte in einem Abbruchhaus an der Badenerstrasse, das inzwischen nicht mehr ist. Der Estrich war eine Wunderkammer, mit allerlei Dingen, die frühere Bewohner*innen zurückgelassen hatten. Eines Abends als ich rumstöberte, kam ein kleines schwarzes Köfferlein zum Vorschein. Als ich es aufschloss, stieg mir ein altbekannter Kindheitsduft in die Nase. Ab diesem Moment war alles klar. Das Köfferlein war prall gefüllt mit Ölfarben und Pinseln und der Duft, war der meines Vaters, dem Kunstmaler. «Ich muss wieder malen», wusste ich sofort. «Ich muss mit Ölfarben malen».

Das Atelier in Wipkingen kam fast von alleine zu mir. Die inspirierenden Leute aus Film, Musik und Kunst haben mich darin bestätigt. «Ich bin Maler, ich brauche einen Output.» Also habe ich gemalt und gemalt, Ausstellungen organisiert, Bilder verkauft. Ich gewann den Solothurner Förderpreis für junge Künstler*innen, was mir 2017 erlaubte, mich gänzlich meiner Kunst zu widmen. Ich bin nach Leipzig und Barcelona gereist, weil ich mich für ein Kunststudium interessierte. Aber ich entschied, mir das Wissen und die Techniken selbst anzueignen. Ich brauchte ja kein Papier.

Etwas später zog ich mit einer Frau in eine Industrieloft nach Wallisellen. Es war perfekt, weili ch zu Hause arbeiten konnte. Aber die Beziehung hielt nicht. Ich musste mir eine neue Bleibe und ein neues Atelier suchen. Gleichzeitig hatte ich den Zürich-Koller. Basel ist weniger teuer als Zürich und verfügt neben sehr viel Kunst und Kultur über eine aktive Szene. «Passt», sagte ich mir. Zudem durfte ich zwei Wochen auf der Couch meines Cousins schlafen.

Gleichmut und Irrsinn
Das ist jetzt nicht ganz zwei Jahre her. Neben meiner Malerei arbeite ich in einem Kunstmuseum als Aufsicht. Es ist nicht leicht. Ich wünschte mir von meiner Kunst leben zu können. Ich möchte finanziell stabil sein, damit ich mir auch Ferien und Pausen gönnen kann. Ich habe wenig Geld und die vielen Nebenjobs machen nicht glücklich. Für meine Kunst opfere ich viel. Wo andere in klassische Strukturen investieren, investiere ich in meine Zeit im Atelier, wo ich erforsche, wer ich als Künstler bin.

Wenn man Sicherheit sucht, ist die Malerei nicht das richtige Metier. Ich glaube, um dieses Leben zu führen braucht man die Bereitschaft ins Ungewisse zu gehen, den Glauben daran, dass es gut kommt, viel Adaptionsfähigkeit und Flexibilität. Eine positive Form von Irrsinn, eigentlich.

Denn es gibt immer und immer wieder Momente, in denen alles zerstört wird und man neue Wege finden muss. Als ob man eine Sandburg baute, die für Jahre halten soll. Nur um zu realisieren, dass eine Welle kommt und die Burg zurück ins Meer schwemmt. Das gibt schon Tränen. Mit der Zeit wird man aber weniger anhänglich an Dinge, Menschen und was man aufgebaut hat. Es entwickelt sich eine stoische Gleichmut und man denkt sich: «Ok. Voila, here we go again.»

Nein, ans Aufgeben habe ich nie gedacht. Nicht wirklich. Es gibt keine andere Option für mich. Ich muss das machen. Ich muss malen. Das kommt von Innen. 
Aber klar gibt es Momente, in denen ich müde bin, mich frage, ob es das wert ist. Besonders, wenn ich nicht vorwärtskomme, gemaltes immer wieder verwerfe. Aber würde ich aufhören, ergäbe mein Leben keinen Sinn mehr. Ich will nicht einfach ein Leben leben. Ich muss schöpfen. So bin ich im Frieden. 

Tipp
Was ich jemandem sagen würde, der oder die nicht wagt aus dem Hamsterrad zu steigen? Die Sicherheit, die du dir mit deinem Bankjob erträumst, gibt es gar nicht. Das Leben ist Passion, nicht Sicherheit. Das Materielle kommt und geht. Passion aber ist frei.

Ich rate intelligente Risiken einzugehen. Mit dem Kopf durch die Wand, wie bei mir, muss nicht immer sein. Man kann kleine Schritte gehen. Das ist zwar nicht mein Naturell aber die Arbeit auf 80% herunterschrauben und sich ein Atelier suchen, fänd ich ein sinnvoller Weg.

www.instagram.com/kasparflueck // kasparflueck.cc

Stillleben mit Kaspar vor einem seiner Bilder. 
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