Folge der Neugier.

02.07.2020 von Benedikt Meyer

«Dort wo’s kitzelt, lohnt es sich einen Schritt zu tun»

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Mein erster Job war der Allerbeste: Ich war Traumerfüller. «Einmal im Rollstuhl Gleitschirmfliegen», «Einmal als legoliebender Autist in die Lego-Fabrik», «Einmal dem Bundespräsidenten die Meinung sagen». Ich habe 200 Träume von Menschen mit Behinderungen erfüllt und die meisten waren nicht mal besonders kompliziert. Es brauchte einige Telefonate und die Bereitschaft, zu scheitern.

Später ging ich studieren. Geschichte. Für die Zeit danach hatte ich ehrlich gesagt keinen Plan. Also hängte ich ein Doktorat an. 2014 schloss ich ab und stand vor der Wahl, «entweder suche ich mir jetzt einen anständigen Job» oder «nicht». Ich suchte keinen und beschloss, stattdessen ein Buch zu schreiben.

Natürlich: Ich hatte Angst. Angst, das Dümmstmögliche zu tun. Aber ich hatte einfach keine Ausreden. Wen interessierte es, ob ich jetzt sofort einen Job suchte, oder erst später? Wie tief konnte ich aus der Schweizer Mittelschicht schon fallen? Ausserdem war da eine Geschichte, die ich dringend erzählen wollte und ich beherrschte drei Viertel des Alphabets relativ gut. Ich musste schreiben. Also setzte ich mich hin und begann mit Kapitel 1.

Während ich schrieb, geschah überraschendes: Es ergaben sich Aufträge und Kontakte. Meine Bekannten wussten, was ich konnte und dass ich Zeit hatte. Also baten sie mich, Vorträge zu halten, Museumsführungen auszuarbeiten oder die Geschichte eines Kulturlokals zu recherchieren. Ich wurde «teilselbständig» und mein Businessplan schrieb sich quasi von selbst. Trotzdem flirtete ich noch lange mit der Sicherheit einer festen Stelle, machte Vertretungen oder übernahm für ein paar Monate einen normalen Job. Aber die Neugierde und mein Buchprojekt zogen mich immer wieder in die andere Richtung.

Die Frage «frei oder fest» kulminierte im Februar 2018: Mir wurde die Chefredaktion eines Reisemagazins angeboten. Ein Traumjob! Mein Kopf sagte «tolles Team, gutes Einkommen, Reisen rund um die Welt». Meine Freunde sagten dasselbe. Nur mein Bauch konterte: «Du brennst nicht fürs Reisen, sondern für Geschichte. Und du willst schreiben, nicht redigieren.» Ich rang schwer mit mir. Trotzdem habe ich mein «Nein» nie bereut.

Wenige Wochen später kam ich die Mail vom Verlag: Mein Manuskript hatte sie überzeugt! Ein knappes Jahr später lag mein Roman in den Buchläden. Inzwischen steht er knapp vor der dritten Auflage. Heute bin ich freier Historiker und Autor und keinen Job zu suchen, war rückblickend der bestmögliche Schritt. Denn statt meinen Ängsten folgte ich meiner Neugierde. Natürlich verdiene ich schlechter als meine Freunde von der Uni. Natürlich arbeite ich mehr. Aber ich kann mein Essen und sogar die Krankenkasse bezahlen und was ich tue, ist genau das, was ich will: Ich schreibe Bücher und erzähle Geschichten.

Wenn’s um Träume geht, gibt es in unseren Köpfen diese Hollywood-Story, dieses «Glaub an deinen Traum, arbeite hart, lass dich durch nichts beirren, dann irgendwann wirst du es schaffen». Ich finde diese Story gefährlich: Das ist nicht der Weg zum Glück – das ist das Rezept für ein Burn-Out.

Ich glaube, besser als ein fernes Ziel anzusteuern, ist seiner Neugier zu folgen. Dort wo’s kitzelt, lohnt es sich einen Schritt zu tun. Und dort wo’s dann wieder kitzelt den zweiten. Wo das dann hinführt, ist gar nicht so wichtig. Es geht nicht drum, etwas zu erreichen, sondern darum etwas zu entdecken. Den Mut dafür nimmt man vom Herzen: «Courage» kommt von «Coeur».
Seitdem ich weniger meinen Ängsten und mehr meinen Neugierden folge, ist mein Leben spannender, freier, abenteuerlicher geworden. Ich bin gespannt, wo es mich als nächstes hinführt. Moment, mich kitzelt da gerade etwas …
 

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer (38) lebt als freier Historiker und Autor in Bern. Seinem Traum, die Geschichte seiner Urgrossmutter zu erkunden, ist er gefolgt: mit dem Frachtschiff über den Atlantik, mit dem Fahrrad quer durch die USA. Daraus entstand der Roman «Nach Ohio. Auf den Spuren der Wäscherin Stephanie Cordelier», der im Zytglooge Verlag erschienen ist.

www.benediktmeyer.ch

Foto von David Birri
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