«Irgendwann erkennt man, dass die ständige Nervosität nichts bringt.»

04.06.2020 von Ondine Riesen

Bidle Niggli (44) Luzern. Vater, Grafiker und Illustrator, Teilhaber Werbeagentur

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Als Kind wollte ich Erfinder und Astronaut werden. Heute bin ich Creative Director der Werbeagentur Rocket. Als kreativer Mensch ist man ja auch ein bisschen Erfinder und der Astronautentouch habe ich mir quasi als Dekoelement hinzugefügt. Ich habe als Kind sehr viel gebastelt aber vor allem gezeichnet. Bei uns in der Schule war es so, dass wer am besten zeichnen konnte, einen Sonderstatus hatte. Man konnte noch so eine Pfeiffe beim bällele im Sport sein. Am besten zeichnen zu können, war für mich leicht verdienter Ruhm und Ehre. Das hat mich motiviert noch besser zu werden. Als ich nach der Oberstufe direkt die Prüfung für den Vorkurs an der Schule für Gestaltung Basel machte, habe ich gleich bestanden. Weil das selten vorkommt, gehörte ich zu den Glücklichen, die kostenlos gehen durften.

Von da an war mir bald klar, dass ich Grafiker werde und mich selbstständig machen würde. Erst habe ich in Agenturen gearbeitet und war eine Weile in London, wo ich die Sprache gelernt und die Freude am Leben genossen habe.
Ein Freund hat mich angerufen und gesagt sie würden in Luzern einen Co-Working Space eröffnen, ich solle doch heimkommen und da mitmachen. Das hat grad sehr gut gepasst, da dachte ich «ja warum nicht». Der Co-Working Space war sowas wie eine gestalterische WG aus Grafiker, Textern, Illustratoren, Videoproduzenten und Marketingleuten. Wir haben einander Projekte zugehalten und Jobs ausgetauscht. Ich konnte auch Kunden aus früheren Zeiten zu mir holen, die mit mir arbeiten wollten. Mit der Zeit haben sich die Wege getrennt. Mathias ist geblieben. Und jetzt ist er mein Partner in der Agentur, die am selben Ort befindet wie damals der Co-Working Space.

Am Anfang hat man existenzielle Ängste, klar. Die verschwinden aber mit der Zeit. Ich dachte oft «Jesses Gott, habe ich überhaupt nächsten Monat noch genug Geld um mir mindestens einen Hörnlisalat zu leisten?» Es ging aber immer. Und sobald es eng wurde, ist immer gleich der nächste Job gekommen. Heute haben wir gar keine Angst mehr. Durch das, dass wir die Erfahrung haben, dass es immer gut kommt und auch durch das aufgebaute Know-how und Netzwerk, weiss ich, dass ich immer wieder neu anfangen könnte. Das gibt Sicherheit und Ruhe. Irgendwann erkennt man, dass die ständige Nervosität nichts bringt und einem nur hinderlich ist.

Was ich andern empfehlen würde: Nutzt das Know-how von anderen Leuten.
Vielleicht ist es typisch für Leute, die sich selbstständig machen, dass sie eben alles selbstständig machen wollen. Aber ganz ehrlich: Buchhaltung, Staatszeugs, Steuererklärung? Da wird mir selbst schlecht aber es ist immer jemand im Netzwerk der oder die das kann. Dann macht man einen Deal oder bezahlt etwas. Das sollte man nutzen. Mein Götti hat mir damals 10’000 geliehen für den Start. Für ihn war das nicht so verdammt viel. Ob das grad auf seinem Konto lag oder nicht, war ihm glaube ich ein bisschen wurst. Ich hatte auch keine Skrupel das zu nehmen.

Die anfänglichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten hatten auch etwas Gutes. Weil ich noch nicht viele Aufträge hatte, war ich Dauergast im «Salut», einem coolen Café in Luzern. Weil ich so oft da war, habe ich Judith besser kennengelernt, die da gearbeitet hat. Sie wurde meine Frau und die Mutter meiner beiden Kinder.

Bei Rocket sind wir inzwischen 16 Leute und mein Job hat sich etwas geändert. Bei so vielen Mitarbeitenden muss man sich um neue Dinge kümmern. Auch müssen wir manchmal Jobs annehmen, die man nur grad mittelgeil findet. Aber wir müssen halt Löhne bezahlen. Wenn mich etwas angurkt, versuche ich es als Herausforderung zu nehmen. Und manchmal geht es schon fast in die psychologische Betreuung, wenn man einem Kunden von einer Idee überzeugen muss. Aber mir macht meine Arbeit sehr viel Spass und ich würde es nicht anders haben wollen.

rocket.ch

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