«Was will ich eigentlich? – ist eine totale Luxusfrage»

05.08.2020 von Ondine Riesen

Claudia (38) Zürich. Mutter, Biologin und Projektleiterin

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Ich litt während der Lehre zur Tiermedizinischen Praxisassistentin, immer ein bisschen unter dem hierarchischem Druck. Ärzte versus Assistentinnen. Die Lehre war zwar spannend und auch die anschliessende Stelle herausfordernd und interessant. Aber ich habe eigentlich schon da gemerkt, dass ich mehr wollte als das. Wirklich bewusst, wurde mir das erst später. Mit dem gesparten Geld zog alleine los auf eine lange Reise: nach Zentralamerika und Südamerika. In diesen zwei Jahren durfte, konnte und musste ich viel selbst entscheiden. Und jede Entscheidung, geh ich links oder rechts, führte zu komplett anderen Erlebnissen. Ich realisierte damals, dass alles was ich entscheide wegleitend ist und deshalb auch mit der Frage «was will ich denn eigentlich» verbunden ist. 

«Was will ich eigentlich» ist eine totale Luxusfrage, die wir uns hier im Westen stellen können. Wer in der Welt kann sich dies sonst schon erlauben zu fragen? Die Kehrseite des Privilegs sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, kommt aber mit dem Preis der Eigenverantwortung. Das hat mich während der Reise manchmal auch ratlos gemacht. 
Mir hat geholfen die Zeit für mich selbst zu haben. So konnte ich in die Tiefe gehen und mich fragen: «Was will ich denn wirklich.» Diese Frage hat mich zu meinem Traum geführt. Ich glaube, dass sich die Antwort auf diese Frage mit aufrichtiger Ehrlichkeit sich selbst gegenüber finden lässt. Es braucht Mut und eine offene Ehrlichkeit um in die Tiefe zu gehen. Das gelingt nicht immer und nicht allen. Ich aber, wollte Meeresbiologin sein.

In der Schweiz wurde mir klar, dass ich zum Studieren noch 4 Jahre hätte die Matura nachholen müssen. Das ging mir zu lange. Als mir ein Freund von der renommierten Universität in Plymouth erzählte, die mehrere weltweit führende Institutionen in Meeresbiologie führen, habe ich denen kurzerhand geschrieben. Meine Karten offen auf dem Tisch, schrieb ich ihnen, dass ich weder eine Matur habe, noch aus England kam, aber mein Traum es halt sei Meeresbiologin zu werden. Die Antwort darauf war ungefähr: «Ja, du kannst schon kommen aber du musst halt wie alle anderen auch die Prüfungen bestehen.» Ich habe mich so dermassen ins Zeug gelegt, dass ich Jahrgangsbeste wurde und zwei Scholarships gewonnen habe. Das eine für den Master, das andere für das Doktorat. Der Traum war erreicht. Ich durfte Delfine erforschen.

Diese Erfahrung, dass ich das alles kann, ganz ohne Matura, in einer anderen Sprache, ohne mein gewohntes Umfeld, hat mich ungemein beflügelt. Ich habe schon eine Menge Fleiss, Disziplin und Pflichtbewusstsein aufgebracht: Mit verklebten Haaren stand ich während dem Bachelor nachts hinter Tresen, schlug mich im Kaufhaus mit Kund*innen herum oder habe mein Geld im Backoffice mit leeren langweiligen Jobs während den Semesterferien verdient. Hätte ich diese Jobs mein Leben lang machen müssen, wäre ich daran vor Langeweile eingegangen. Doch es machte mir nichts aus, diese Arbeiten kurzfristig auszuführen. Ich wusste ja wofür! Ich hatte mein Ziel und das wollte ich erreichen. Das tat ich auch und seit da ist es mir klar. Arbeiten zu dürfen ist schön. Vorausgesetzt es ist in Resonanz mit dem, was mein “innerer Kompass” mir vorgibt. Ich glaube, diesen (für) wahrzunehmen, ist der Wegweiser zu unseren Träumen und der Erfüllung von Sehnsucht. 

Ich mache nach Möglichkeit das, was mir Freude macht, mein Herz beflügelt und mit mir übereinstimmt. Ich behaupte, wenn man weiss, wohin es einen innerlich zieht, geht der Rest fast von alleine. 
 

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