«Wir genügen uns inzwischen selbst»

02.03.2021 von Ondine Riesen

Françoise Nussbaumer (72) Künstlerin, lebt neuerdings mit ihrem Partner Elmar (85) in einem Tiny House in Fuldera Daint.

 

Teilen

Hoi! Ich war eben noch Schnee schaufeln. Es schneit ununterbrochen und verwandelt das Tal in eine Zauberlandschaft. Es ist wunderschön hier. Aber ja, erst der Reihe nach. 

Dass wir in unserem Alter in einem Tiny House wohnen, ist für mich inzwischen völlig normal. Wir haben uns ja nicht erst gestern dafür entschieden. Ich sehe den Weg zwar als langen Prozess, aber der ausschlaggebende Grund war schliesslich Pipa, unser Hündchen.

Françoise und Elmars neue Heimat im Val Mustair.
Die offene Türe lässt die Landschaft ins Haus.

Freunde haben grosse Augen gemacht und gesagt «Wir würden uns das nicht getrauen». Viele in unserem Alter verkaufen ja ihre Häuser und ziehen in eine Eigentumswohnung. Das ist der Trend unserer Generation. Passend zu uns ist er nicht. Wir haben das grosse Glück, dass beide etwas Anderes wollen.

Elmar hatte lange Jahre ein kleines Steinhaus in den Alpen des Onserone Tals. Wir sind mit der Familie jedes Jahr in den Sommerferien dahin. Und auch an den Wochenenden waren wir sehr oft da. Es war jeweils ein stündiger Aufstieg bis wir oben waren. Dann waren wir umgeben von Bergen, Schafen und Bäumen. Brot, Käse, Früchte und was wir sonst noch brauchten, transportierten wir mit einem rustikalen Lift hoch. Das war eine schöne Zeit. Nachdem aber die Kinder ausgezogen und ihr eigenes Leben hatten, wurde es uns zu streng. Uns mit einem Helikopter hochfliegen zu lassen, schien dann auch übertrieben.

«Ein bisschen übertrieben.» Mit dem Helikopter ins Ferienhaus.

Als ein Freund einmal zu Besuch war, meinte er die Veranda erinnere ihn an einen Wohnwagen. Das hat uns auf die Idee gebracht. Wir mieteten uns einen Campingcar und sind damit eine Woche in die Ferien. Das war total schön aber viel zu kurz.

Die erste Reise in einem mobilen Heim.

An der Caravan Messe sagten wir uns «Nume luege, gäll». Drei Tage später sind wir zurück und haben uns den Kastenwagen bestellt.

So begann es.

Erst zog es uns sechs Wochen an den Atlantik und ans Mittelmeer. Wunderschön – und wieder viel zu kurz! Wir wollten ein ganzes Jahr weg.

Von «Nume luege» zum lang ersehnten Traum.

Wir lösten unsere Wohnung in Zug und Elmars Büro in Luzern auf und fuhren los: nach Südfrankreich, Spanien und Portugal. Ich konnte draussen malen! Seit der Kunstschule war das ein Traum von mir. Endlich konnte ich ihn leben und pflegen. Das war das schönste überhaupt. Überall habe ich gemalt. Am Strand. Auf Wiesen. In Dörfern. Auf Bergen.

Françoise malt am Meer.
Im Feld.
Auf der Wiese.
An der Küste.

Und so ging das eine Weile. Den Sommer haben wir im Tessin verbracht, die Winter irgendwo unterwegs im Süden. Wenn wir zum Zahnarzt oder ich zur Gynäkologin mussten, haben wir uns auf dem Campingplatz in Zug einquartiert. Von da aus besuchten wir auch Freund*innen und Familie.

Weil ich jedoch mehr Platz fürs Malen wünschte, haben wir uns einen Anhänger zugetan. Vor der Abreise deckte ich mich sodann mit Leinwänden, Farbe und Pinsel ein. Wunderbar.

Alles dabei.

Zwei Mal aber wurde eingebrochen und einmal ist eine junge Katze in den Motor gekrochen, wo sie sich tödlich verheddert hat. Das war schrecklich wüst und der Kastenwagen musste abgeschleppt werden. Da merkten wir, wie fragil unser Gebilde eigentlich war.

«Wäre es mit einem Wohnwagen vielleicht nicht einfacher?» haben wir uns gefragt.

Also tauschten wir den Kastenwagen für einen Wohnwagen mit Auto ein. Den Wohnwagen installierten wir fix zwischen Toulon und St.Tropez. Gingen wir aber zurück nach Zug, fehlte er uns und eine Wohnung hatten wir ja auch keine mehr.

Mit Camper und Wohnwagen in Südfrankreich.
Elmar vor dem Wohnwagen.
Bilder von unterwegs: Fassade mit blauen Fenstern.
Landschaft mit Bäumen.
Brot und Wein auf gestreiftem Tischtuch.
Zitrone auf Leinwand.

Elmar war inzwischen auch schon ein älterer Herr und brauchte eine gewisse Sicherheit. Mithilfe des Amtes für Altersfragen organisierten wir uns eine kleine Alterswohnung in Oberwil, wo wir künftig blieben, wenn wir zu Besuch waren. Die Einzimmerwohnung war zwar praktisch aber dann doch zu klein für uns beide. Da haben wir wieder darüber nachgedacht etwas Festes zu finden. Die Preise in Zug überstiegen unser Budget komplett. So gingen wir in ein kleines Bauernhäusschen in Fahrwangen, wo ich mein Atelier im Stall einrichtete.

So haben wir zehn Jahre gelebt.

Das kleine Haus in Fahrwangen.

Zu meinem 62.Geburtstag in der Bretagne überraschte mich Elmar mit Pipa einem Bichon Frisé. Ab jetzt waren wir zu Dritt. Weil der 1. August wegen den Feuerwerken für Hunde zu aufwühlend ist, sind wir immer weggefahren. Auf dem Weg ins Südtirol tuckerten wir durchs Val Müstair, was uns so begeisterte, dass wir uns auf dem Zeltplatz einquartierten. Auf dem Zeltplatz hat uns eine Frau gesteckt, dass das kleine Häusschen, was wir so schmuck fanden, von ihrem Mann erbaut worden war. «So ein Häusschen – das wärs!» sagten wir uns. Der Rest ist Geschichte. Seit einer Woche sind wir nun in unserem eigenen Tinyhouse, aber ich fühle es jetzt schon: Wir sind angekommen.

Pipa in ihrem alten zu Hause.
Das Tiny House am ersten Tag.

Putzen, schaffen, Hypotheken zahlen, arbeiten, nur um ein Haus oder eine Wohnung zu unterhalten wie früher – das will ich nicht mehr. Und mehr Platz brauchen wir auch nicht. In den letzten 15 Jahren haben wir geübt auf kleinem Raum zu wohnen. Minimalistisch zu leben war das Ziel.

Hier oben ist es friedlich. Ich male und spiele Akkordeon. Elmar plant alles was mit dem Haus, Boden, Behörden, Baueingaben etcetera zu tun hat. Er spielt Schwyzerörgeli, raucht Zigarre und fliegt mit seiner Drohne. So leben wir jetzt.

Elmar in der Winterlandschaft in Fluldera Deint.

Ich kann es allen empfehlen. Gut ist ja, dass man sich nicht auf einen Ort zu fixieren braucht. Man probiert mal hier mal da. Es reduziert allgemein Kosten und Aufwand. Für 70’000 kann man ein Eigenheim bauen und hat erst noch die Natur bei sich. Wir haben Waschmaschine, Badezimmer mit Dusche, eine grosse Küche. Auch mit Kindern scheint es machbar zu sein. Theoretisch könnte man zwei dieser Häuser bauen. Und man hätte alles, was man braucht. Der Stauraum ist begrenzt, das stimmt und es gibt kein gedeckter Parkplatz für die Velos und das Gartenwerkzeug. Das ist etwas blöd aber ich bestelle jetzt dafür gleich vor und rund ums Haus meinen Permakultur Garten und darf alles so machen wie ich will. Nämlich reduziert. Die ganze Thematik, die heute brennend aktuell ist, können wir hier umsetzen. Das macht mich glücklich. Einige fragen sich sicherlich, warum wir so bescheiden leben wollen. Ich glaube, die Antwort lautet, wir brauchen nicht mehr.

«Mehr Platz brauchen wir nicht.»

Was man beachten sollte, wenn man so leben will? Wenn man zu zweit ist, muss man sicher sein, dass man auf kleinem Raum zusammen leben kann. Man muss auch etwas selbst machen wollen. Die Kreativität wird total angekurbelt. Man kann sich dabei neu erfinden.

Es gibt den Verein Kleinwohnformen. Der ist sehr hilfreich, weil sich da eine Gemeinschaft gleichgesinnter zusammen tut. Sie haben eine Karte, wo man ein Tinyhouse hinstellen kann. Im Wallis zum Beispiel gibt es eine Gemeinde, die das anbietet. In Basel gibt es auch ein Projekt wo ein Grundstück für Tiny Häuser bereitgestellt wird. Langsam kommt das in Gang und ich bin sehr glücklich, sind wir Teil davon. 

Teilen