Sujet Grundeinkommen 2016 auf Banknote

Bedingungsloses Grundeinkommen: Pro und Contra

29.03.2023 von Ting Team

Ting wird oft in einem Atemzug mit dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) genannt. Wir finden: Nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Grund genug, das BGE mal genauer anzuschauen.

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Was ist das bedingungslose Grundeinkommen?

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Vorschlag, wie wir in Zukunft unsere Sozialsysteme ausgestalten könnten. Jede:r Bürger:in erhält lebenslang vom Staat ein existenzsicherndes Einkommen. Deshalb wird von Grundeinkommen gesprochen. Dieses Einkommen wird jedem Individuum ohne spezielle Prüfung gewährt. Deshalb wird von bedingungslos gesprochen. Alter, Bildung, Beruf, Vermögen, etc. spielen für die Auszahlung keine Rolle. 

Höhe des BGE

In der Abstimmung von 2016 wurde ein monatliches BGE von CHF 2500 für Erwachsene und CHF 625 für Kinder vorgeschlagen. Basis dafür ist der von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) definierte Grundbedarf für einen Einpersonenhaushalt (2022: CHF 1031)1. Dieser Betrag versteht sich exklusiv Miete, Berufsauslagen und Versicherungen. Der damalige Vorschlag lag demnach rund CHF 1500 über dem Grundbedarf. Der Mindestlohn im Kanton Basel-Stadt liegt bei CHF 21, in Genf bei CHF 242. Man geht davon aus, dass das BGE diesen Wert nicht überschreiten sollte, um Arbeitsanreize nicht unnötig zu torpedieren. Das heisst, die Obergrenze eines BGE sollte zwischen CHF 3500-4000 liegen.

Das bedingungslose Grundeinkommen bietet mögliche Antworten auf folgende Fragen:

 

  • Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?
  • Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?
  • Wo setzen wir in Zukunft unsere Prioritäten im Leben? 

 

Das BGE ist nicht die Antwort auf diese Fragen und auch nicht die einzige Antwort. Das BGE ist ein mögliches Zukunftsszenario.

Drei Argumente, die für das bedingungslose Grundeinkommen sprechen

  1. Es ist ein wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung.
  2. Es bietet eine Antwort auf bestehende oder bevorstehende Arbeitslosigkeit, die vor allem durch den technologischen Fortschritt (Digitalisierung) zu erwarten  ist.
  3. Es gibt Individuen Verantwortung über ihr eigenes Leben.

Schauen wir uns diese Punkte also genauer an…

Wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung

Das BGE ist ein einfaches Mittel, um Armut zu bekämpfen. Die Verwaltungskosten individueller Leistungsbewilligung bei anspruchs- und bedarfsprüfenden Hilfsprogrammen sind um ein Vielfaches höher als bei einem bedingungslosen Grundeinkommen. Ausserdem könnte es Armut zu Teilen wirksam vorbeugen, indem es auch diejenigen finanziell absichert, die derzeit noch nicht von Armut bedroht sind. Es könnte also dazu beitragen, Armut gar nicht erst entstehen zu lassen, anstatt sie später umständlich zu bekämpfen.

Digitalisierung und Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit bringt durch Dequalifizierung, Desintegration etc. ungeheure gesellschaftliche Kosten mit sich. Arbeitslose müssen sich strengen Auflagen  unterwerfen, um unterstützt zu werden. Ein BGE würde die finanziellen Risiken der Arbeitslosigkeit abfedern, indem es das Existenzminimum garantiert. Digitalisierung und Automatisierung von Jobs verlangen nach neuen, flexiblen Antworten. Zudem befinden sich heute immer mehr Menschen in beruflichen Mischformen: Sie sind selten nur  Arbeitnehmer:innen, nur Unternehmer:innen oder nur Studierende Der Sozialstaat kann darauf nur träge reagieren. Das BGE löst das Problem der Zuteilung, da es an alle geht.

Verantwortung über das eigene Leben

Verantwortung über das eigene Leben ist ein wichtiger Schritt zur Selbstermächtigung. Das BGE ermöglicht eine freie Einteilung der erhaltenen Ressourcen. Es reduziert existenziellen Stress und Unsicherheit.

Drei Gründe, die gegen das bedingungslose Grundeinkommen sprechen

  1. Die Frage der Finanzierung ist ungeklärt.
  2. Der Anreiz zu arbeiten reduziert sich.
  3. Die Wirkungen eines Grundeinkommens sind ohne generelle Einführung nicht ermittelbar.

Schauen wir uns diese Punkte also genauer an…

Die Frage der Finanzierung

Die Finanzierung würde eine Verständigung über die Ausgestaltung des BGE benötigen. Sollen das Grundeinkommen wirklich alle erhalten? Welche Institutionen zahlen es aus? In welcher Höhe und in welchem Rhythmus wird es ausgezahlt? Wird es den Lebenshaltungskosten angepasst? Welche Leistungen ersetzt oder ergänzt es? Was sind die Finanzierungsquellen? Wie sieht das Übergangsszenario vom alten ins neue System aus? Keine einfachen Fragen, weshalb dieser Punkt im öffentlichen Diskurs oft als unüberbrückbar dargestellt wird. 

Reduktion des Arbeitswillen

Ein Argument, das oft genannt wird, ist, dass die Einführung eines BGE mit einer gravierenden Reduktion des Arbeitswillens einhergehen könnte. Dieses Argument wurde jedoch in verschiedenen Experimenten und wissenschaftlichen Studien nicht bestätigt. Der Anreiz, im klassischen Sinne zu arbeiten, mag sich etwas reduzieren, allerdings nicht signifikant.

Wirkungen eines Grundeinkommens

Tatsächlich, die Wirkungen eines Grundeinkommens sind ohne generelle Einführung nicht abschliessend ermittelbar. Die Umstellung  wäre allenfalls gross, ist aber vorab nicht bezifferbar. Entsprechend wichtig wären Ausgestaltung und Übergangsphasen vom jetzigen System zu einem System mit BGE.

Schweizer Initiativen zum bedingungslosen Grundeinkommen

  • Nationale Abstimmung 2016: Am 5. Juni 2016 hat die Schweiz als erstes Land überhaupt über ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt. Insgesamt haben 23.1% der Stimmbürger:innen der Vorlage zugestimmt. Das sind 568’905 Menschen.
  • Abstimmung in Zürich 2022: Am 25. September 2022 wollte eine Initiative rund 500 Personen in der Stadt Zürich während 36 Monaten ein bedingungsloses Grundeinkommen auszahlen. Um betreffend Wirkung eine wissenschaftliche Basis zu schaffen. Die zentrale Frage lautete: «Macht ein Grundeinkommen die Menschen faul?» Die Initiative wurde mit 53,9 Prozent knapp abgelehnt. In Luzern und Bern sind ähnliche Initiativen ausstehend. 2021  wurden dem Stadtrat in Luzern genügend Unterschriften übergeben und in Bern wurde eine parlamentarische Initiative eingereicht.
  • Rheinau 2018: In Rheinau scheiterte ein bedingungsloses Grundeinkommen für die ganze Dorfbevölkerung an der Finanzierung. 
  • Unterschriftensammlung 2021: Nach 17 Monaten wurde die Unterschriftensammlung mit ca. 70’000 gültigen Unterschriften frühzeitig abgebrochen, weil die Aussichten auf eine erfolgreiche Sammlung ausgeschlossen wurden.

Bedingungsloses Grundeinkommen in anderen Ländern 

Finnland: Das bedingungslose Grundeinkommen wirkt sich positiv auf das Vertrauen von Arbeitslosen aus, begünstigt aber nicht deren Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Zu diesem Ergebnis kamen finnische Forscher nach einem zweijährigen Pilotprojekt. Die Teilnehmer waren zufriedener mit ihrem Leben und litten seltener unter psychischer Belastung, Depressionen, Traurigkeit und Einsamkeit. Zudem hatten sie mehr Vertrauen in ihre Mitmenschen und gesellschaftliche Institutionen. Der erhoffte Anreiz für die Arbeitssuche blieb jedoch weitgehend aus. Im Schnitt arbeiteten die Teilnehmer nur sechs Tage mehr pro Jahr. Die Forschenden sind der Frage nachgegangen, ob das bedingungslose Grundeinkommen einen stärkeren Anreiz setzt, einen Job zu finden als traditionelle Arbeitslosenhilfen. Das Experiment beschränkte sich dabei auf bereits arbeitslose Teilnehmer.

Deutschland: In Deutschland läuft seit einem Jahr ein zivilgesellschaftlich abgestützter dreijähriger Pilotversuch mit 122 Probandinnen und Probanden. 

Alaska: Der «Alaska Dividend» ist ein permanenter Fond, der jedem Menschen in Alaska 1000-2000 Dollar auszahlt. Er wurde vor 40 Jahren eingeführt und läuft seither erfolgreich.

Weitere Feldversuche: Eine Vielzahl weiterer «Feldversuche» wurden in Brasilien, Indien, Südafrika, Kanada, USA, Kenia und Holland durchgeführt.

Abschliessende Gedanken 

Letztlich geht es beim BGE um die Frage, wie viel Verantwortung wir als Gesellschaft einer einzelnen Person geben möchten. Das BGE löst das Problem der sozialen Sicherung wohl nicht abschliessend. Aber es könnte durchaus ein erster Schritt in eine wirtschaftlich entschleunigte, stressreduzierte und innovationsgetriebene Gesellschaft sein. Und definitiv eine Möglichkeit, Menschen zu einem selbstbestimmteren und intrinsisch motivierteren Leben zu verhelfen.

Ting: Kurz & Knapp

 

Bei Ting zahlen alle Mitglieder monatlich einen Betrag auf ein Gemeinschaftskonto ein. Wir bauen mit monatlichen Beiträgen ein gemeinsames Vermögen auf, das allen Boost- und Transform-Mitgliedern als zeitlich begrenztes Einkommen zur Verfügung steht. Wir investieren in Menschen. So entsteht Zeit für Weiterentwicklungen und Unternehmerisches. #tingting

 

Wie es genau funktioniert?

Mehr dazu

Ting und das bedingungslose Grundeinkommen

Ting bietet kein bedingungsloses Grundeinkommen. Ting nutzt das Umlageverfahren (wie AHV) für die Umverteilung von Geld. So lebt und testet Ting jedoch einen Teilaspekt des BGE. Nämlich, was es mit Menschen macht, wenn sie auf ein Basiseinkommen zurückgreifen können. Was ein anderer Umgang mit Geld, ein gegenseitiges Vertrauen und ein hoher Grad an Selbstbestimmung bewirken. 

Ting wurde 2020 gegründet und ist mittlerweile ein unabhängiges und zivilgesellschaftliches Pionierprojekt. Das interdisziplinäre Kernteam der «Agentur für Weiterentwicklung GmbH» hat den Auftrag, Ting zu entwickeln und nicht-gewinnorientiert zu vermarkten. Das System Ting und die organisatorische Konstellation wurde seitens FINMA geprüft und gutgeheissen. Ting wird vom Migros-Pionierfonds unterstützt.

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«Ting begegnet diesem Wandel mit einer Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern Zeit für Weiterentwicklungen ermöglicht.» Blogbeitrag Dezentrum 

 

«{...} in Anbetracht der bevorstehenden Transformationen und der sie begleitenden Risiken und tiefen Unsicherheit sprechen wir uns für ein allgemeines Grundeinkommen in Form einer Global Commons Dividend (Dividende auf die globalen Gemeingüter) aus.» Buch des Club of Rome

 

Christian Tod betrachtet in seinem Dokumentarfilm «Free Lunch Society» (2017) die Möglichkeiten eines bedingungslosen Grundeinkommens und spricht mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Trailer schauen.

 

«Rahel Ackermann plagten Existenznöte. Dann hat sie sich Ting angeschlossen – einer Community, die mit monatlichen Beiträgen ein Gemeinschaftskonto aufbaut.» Artikel im Tages-Anzeiger

 

Wie vielen Menschen kannst Du mit 1% deines Schweizer Einkommens aus der Armut helfen? Initiative von #tingting Sandino

Bitte beachte: Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität. Wir freuen uns über Feedback, Inputs und ergänzende Gedanken oder Informationen. 

Quellen:Skos.chUnia.ch Weitere: bsv.admin.ch, Kovce & Priddat

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