Ein suffizienter, nachhaltiger Lebensstil soll sich nicht nach Verzicht anfühlen. Das gelingt, wenn wir unsere persönliche Zufriedenheit steigern, indem wir sie nicht von materiellen Dingen und externen Faktoren abhängig machen. Andere Menschen glücklich zu machen und sie zu unterstützen, ist ein Weg zur Zufriedenheit.
In unserer Leistungsgesellschaft gilt es allgemein, nach immer mehr zu streben. Mehr Karriere, mehr Lohn, mehr Erfolg. Aber gleichzeitig auch mehr Zu-Sich-Finden, mehr Work-Life-Balance oder schlicht mehr Glück. Das lässt sich nur schwer kombinieren.
Wieso streben wir also nicht einfach generell nach weniger? Studien belegen, dass weniger durchaus mehr sein kann: Im Rahmen des Projekts «Energieforschung Stadt Zürich» hat 2016 eine Untersuchung ergeben, dass – verkürzt gesagt – wer mehr hat, auch mehr zu brauchen glaubt, um zufrieden zu sein. Gemessen wurde das «subjektiv genügende Mass» (sgM). Menschen mit höherem Einkommen und höherem Bildungsabschluss weisen bei einigen Verhaltensweisen wie Wohnfläche und Anzahl Flüge pro Jahr ein höheres subjektiv genügendes Mass auf, als Personen auf tieferer Einkommens- und Bildungsstufe. Sie glauben also, mehr Wohnfläche oder eben Ferienreisen zu benötigen, damit sie ein zufriedenes Leben führen können.
Gleichzeitigt zeigen in dieser Studie zitierte Studien, dass Personen mit tiefem sgM angeben, sich wohler zu fühlen, als Menschen mit einem mittleren oder hohen sgM.
Suffizienz: Mehrwert anstatt Verzicht
Neben Effizienz, also dem Streben nach energie- und ressourcensparenden Weiterentwicklungen, und der Konsistenz, dem Versuch, Produkte möglichst umweltfreundlich, rezyklierbar zu machen, ist die Suffizienz der dritte Begriff, der als Lösung für eine nachhaltigere Lebensweise angesehen wird (mehr dazu hier). Während Effizienz und Konsistenz keinen negativen Einfluss auf unseren Lebensstandard haben, bedeutet Suffizienz immer ein Stück weit Verzicht. Also nur so viel zu konsumieren, wie wir wirklich brauchen – was oftmals eben deutlich weniger ist, als wir das Gefühl haben, zu brauchen. Niemand MUSS zweimal im Jahr in Urlaub fliegen. Niemand MUSS täglich Fleisch essen. Niemand MUSS alle zwei Monate neue Kleider shoppen.
Im besten Falle fühlt sich ein suffizienter Lebensstil aber nicht wie Verzicht an. Sondern er gibt uns einen Mehrwert. Wir erkennen, dass unser Verhalten einen positiven Einfluss auf unsere Umwelt hat und entdecken gleichzeitig Spannendes, in dem, was wir bereits haben: Wir realisieren, dass es auch in Fuss- oder Zugdistanz ab unserem Zuhause viele tolle Flecken zu entdecken gibt, an die es sich zu reisen lohnt. Wir lernen, die saisonale Abwechslung der Gemüsevielfalt in unsere Küche zu integrieren oder finden Gefallen daran, den Inhalt unseres eh schon proppenvoller Kleiderschranks gekonnt neu zu kombinieren, anstatt das hundertste T-Shirt zu kaufen.
Ting - Suffizienz in Sachen Geld
Wie viel Geld brauche ich wirklich? Wie viel Geld brauchst du wirklich? Alle Mitglieder zahlen monatlich einen Betrag auf ein Gemeinschaftskonto ein. Wir bauen zusammen ein Vermögen auf, das allen transparent und in Form eines zeitlich begrenzten Einkommens zur Verfügung steht. So entstehen Raum für neue Ideen, sinnvolle Pausen und Projekte, welche die Zukunft gestalten. #tingting
Wie es genau funktioniert?
Wie werden wir zufriedener?
Wie aber gelangen wir persönlich zu einem tieferen subjektiv genügenden Mass? Das Zauberwort heisst meiner Meinung nach «Zufriedenheit». Wer zufrieden mit sich und seinem Leben ist, benötigt weniger externe Glücklichmacher in Form von Gekauftem – das seinen Reiz oft nach wenigen Tagen oder Wochen bereits wieder verliert – und durch abermals Neues ersetzt oder ergänzt werden muss.
Auf Befehl zufrieden zu werden ist jedoch ein Ding der Unmöglichkeit. Eine Suche im Internet nach entsprechenden Tipps ergibt erwartungsgemäss unzählige Treffer, die ich hier nicht wiedergebe. Da ich mich selber glücklicherweise zu den zufriedenen Menschen zählen darf, gebe ich stattdessen gerne meine persönlichen – nicht wissenschaftlich geprüften – Überzeugungen weiter. Vielleicht helfen sie ja dem einen oder der anderen beim Zufriedenerwerden.
Persönliche Tipps für mehr Zufriedenheit
Dankbarkeit: Meine Mutter hat mich als Kind gelehrt, jeden Abend dem Lieben Gott für die guten Dinge des vergangenen Tages zu danken. Inzwischen bin ich längst aus der Kirche ausgetreten: Aber den täglichen Fokus aufs Positive des Tages habe ich dermassen verinnerlicht, dass mich diese Positivität bis heute begleitet und trägt. Negatives vergesse ich automatisch relativ rasch, freue mich aber schon über kleine Dinge: Zum Beispiel über zwei junge, seeeehr coole Typen, die unerwarteterweise ganz nett einer alten Frau im Tram beim Aussteigen helfen. Oder über eine schöne Morgenstimmung, welche sich vor meinem Busfenster auf dem Weg zur Arbeit zeigt (beides registriert man übrigens nur, wenn man nicht pausenlos ins Handy starrt…). Wer nicht beten mag, kann für sich selber beim Einschlafen den Tag revue passieren lassen und dabei ganz bewusst aufs Positive fokussieren. Noch stärker wird der Effekt, wenn man diese Gedanken in ein Notizbuch notiert und bei Bedarf darin blättert.
Draussen sein: Glücklich sein und Zufriedenheit gehen Hand in Hand. Das Glückshormon schlechthin ist Serotonin und dessen Spiegel im Blut kann man auf unterschiedliche Arten fördern (auch hierzu ergibt eine Internetrecherche unzählige Treffer). Was erwiesenermassen hilft ist Licht. In den Wintermonaten, in denen wir weniger draussen sind, ist unser Serotoninspiegel tiefer, entsprechend häufig sind Novemberblues und ähnliche Missstimmungen. Deshalb meine Empfehlung: Beweg dich auch im Winter regelmässig tagsüber draussen. Unternimm auch bei nicht optimalem Wetter Wanderungen, Spaziergänge, geh’ Joggen. Wenns windet und «chuutet» spürt man die Elemente. Auch das beglückt mich persönlich sehr – die warme Dusche nach dem Nachhausekommen natürlich ebenfalls. Bewegung erhöht übrigens den Serotoninspiegel zusätzlich.
Nett sein: Die Welt wäre eine bessere, wenn alle zueinander netter wären. Sei deshalb explizit nett zur Kondukteurin, zum Verkäufer, zur Postbeamtin. Dabu Bucher, der Kopf von Dabu Fantastic, formuliert es sehr schön: «Versuche, eine Spur der Verschönerung zu hinterlassen.» Du bereitest den «Beschenkten» und dir selber damit gute Momente. Neben netten Gesten und Worten kannst du natürlich auch sinnvolle Projekte (finanziell) unterstützen – zum Beispiel im Rahmen der Ting-Community.
Alle diese Tipps kosten keinen Rappen und die Tipps eins und drei sind auch im dichtgedrängtesten Terminkalender unterzubringen und entsprechend einfach umzusetzen. Ist man zufriedener, fällt es einem auch leichter, nicht ständig nach mehr zu streben. Egal ob sich dieses Mehr auf die Karriere oder auf materielle Dinge bezieht. Ein suffizienterer, umweltverträglicherer Lebensstil ergibt sich daraus – das nötige Bewusstsein vorausgesetzt – schon fast automatisch.
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💚 Dank an unsere Gastautorin Nicole