Wünschenswerte Zukünfte ausprobieren

30.06.2021 von Jeannie Schneider

Wie verändert sich unsere Arbeitswelt, welche Rolle spielt es dabei Wissen zu teilen und wie lässt sich Ting im schweizerischen System der Sozialversicherungen verorten?
Jeannie Schneider vom Think & Do Thank Dezentrum erklärt es uns anhand zweier wissenschaftlicher Arbeiten, die zu Ting verfasst wurden. 

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Während im Bundeshaus über das Rentenalter von Frauen diskutiert wird, fragt sich die jüngere Generation, ob sie überhaupt jemals eine Rente bekommen wird. Denn eine AHV Reform wäre dringend nötig. Bald werden nämlich mehr Menschen Rente beziehen, als arbeiten und letztere sind es, die die Renten mitfinanzieren. Diese Ungewissheit strapaziert die Bereitschaft der Jungen, einen Teil ihres Lohns in die AHV zu zahlen. Aber die AHV ist nicht die einzige Sozialversicherung die besorgt in die nahe Zukunft blickt. Die Arbeitswelt wird sich durch die digitale Transformation verändern, es werden immer andere Fähigkeiten benötigt, um einen Job zu finden. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung auch viele Stellen überflüssig macht.

Wie verändert sich unsere Arbeitswelt? 

In der Regel führt technologischer Fortschritt dazu, dass Güter und Dienstleistungen effizienter und schneller produziert werden können. Theoretisch könnte das dazu führen, dass die Arbeitszeit von allen reduziert wird. Das würde bedeuten, dass alle mehr Zeit für sich haben. Mehr Zeit für sich bedeutet mehr Zeit, um sich der Familie oder Hobbies zu widmen. Das reduziert Stress. 

Das ist aber nur ein Szenario. Es könnte auch sein, dass einfach viele Menschen entlassen werden und diejenigen die noch einen Job haben, immer noch gleich viel arbeiten. Das würde einen enormen Druck auf die Sozialsysteme auslösen. 

Es ist also höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir als Gesellschaft mit diesen Herausforderungen umgehen wollen und über soziale Innovationen und gesellschaftliche Solidarität nachzudenken. Das öffnet ein Möglichkeitsfenster für Lösungen, die vor ein paar Jahren noch nicht denkbar gewesen wären. Wie zum Beispiel Ting. 

Zwei Abschlussarbeiten haben untersucht, welche Rolle Ting in der rasant ändernden Berufswelt spielen könnte und was für Handlungsmöglichkeiten daraus entstehen. 

Was ist Ting? 

Ting ist eine digitale Plattform die Geld und Wissen innerhalb der Community teilt. Alle Mitglieder zahlen dabei zirka 5% des Einkommens in den gemeinsamen Fonds, aus dem die Mitglieder anschliessend 2’500 Schweizer Franken monatlich während maximal einem halben Jahr beziehen können. Insofern das Geld für eine persönliche Weiterentwicklung und/ oder einem gesellschaftlichen Mehrwert dient. Ting hat also eine Nähe zu der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens. Aber es gibt wichtige Unterschiede. Eine private Trägerschaft steht hinter Ting und das Einkommen ist nicht bedingungslos. Neben dem Geld ist aber die Vernetzung eine wichtige Eigenschaft von Ting. Die Mitglieder bilden eine aktive Gemeinschaft und helfen einander gegenseitig mit ihrem Wissen. Marc-Philipp Wyss hat in seiner Abschlussarbeit weiter zu dieser Beziehung geforscht.

Was aber bringt es, Wissen in einer Gemeinschaft zu teilen? 

Das Wort Wissen ist etwas schwer fassbar. Tatsächlich ist es aber das Schmiermittel, das Zusammenarbeit und Innovation möglich macht. Anders als einen Kuchen vergrössert sich Wissen, wenn man es teilt, weil es immer mehr Personen zugänglich gemacht wird. Es gibt verschiedene Bedingungen, die dazu führen, dass eine Person ihr Wissen teilen will. Zum einen Vertrauen, Gegenseitigkeit und ein Gefühl von Zugehörigkeit mit der Gruppe. Es entsteht also ein Netzwerk, das neue Formen von Zusammenarbeit ermöglicht. Und das führt nicht nur zu einer grösseren Solidarität, sondern oft auch zu innovativen Lösungen.

So viel zu den Potenzialen, die das Teilen von Wissen mit sich bringt. Aber könnte man das überhaupt in die bestehenden Sozialversicherungssysteme integrieren, oder ist alles bloss Wunschdenken? Diese Frage hat sich Ali Can Mert in seiner Abschlussarbeit gestellt. 

Wo würde Ting ins Sozialsystem passen? 

Die meisten Sozialversicherungen kommen dann zum Zug, wenn eine Person schon in einer misslichen Situation ist. Das heisst, sie reagieren. Ting auf der anderen Seite könnte als präventive Massnahme eingeführt werden, denn Menschen können Geld für beispielsweise eine Weiterbildung beantragen, bevor sie arbeitslos geworden sind. Damit könnte Ting eine Ergänzung zu der Arbeitslosenversicherung darstellen. Gerade in Anbetracht dessen, dass die Digitalisierung viele neue Fähigkeiten fordert, um im Berufsleben zu bleiben, brauchen immer mehr Menschen eine Weiterbildung. Weiterbildungen sind aber oft zeit- und kostenintensiv. Ting schliesst hier also eine Lücke, die nur schlecht von den vorhandenen Sozialversicherungen gedeckt wird. 

Die Veränderungen, die auf uns zukommen sind komplex und schwer vorauszusehen. Das macht es umso schwerer, Lösungen nur auf Papier zu entwickeln. Das Stichwort heisst hier also in der Praxis ausprobieren. Und genau das macht Ting. 

Jeannie Schneider

Jeannie Schneider (24) stellt sich gerne die normativen Fragen, die der technologische Wandel aufwirft.
Welches Potenzial birgt die Digitalisierung für uns? Was für Auswirkungen hat sie auf bestehende Strukturen? Sie versucht dabei, Antworten an Orten zu finden, an die man erst nicht denken würde. Sie hat Politikwissenschaft und Recht an der Universität Zürich studiert.

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